Aktuelles
Unser Württemberg Lied
Beim Absingen der deutschen Nationalhymne durch Sportler oder Politiker scheinen gelegentlich nicht nur demonstrative Inbrunst, sondern auch Textkenntnisse zu fehlen. Anders sieht es bei dem schon seit 1865 populären Badner-Lied unseres Nachbarstammes aus, dessen „Frischauf, Frischauf“ vor Bundesligaspielen beim FC Freiburg, dem Karlsruher SC und sogar bei TSG Hoffenheim begeistert geschmettert wird.
Damit unsere Mitbürger bei passender Gelegenheit dagegenhalten können, bringen wir hier den – leider kaum noch vermittelten – Text der Hymne von Württemberg. Der Text entspricht dem 1818 geschriebenen Gedicht “Der reichste Fürst” des in Ludwigsburg geborenen Arztes, Dichters und Weinliebhabers Justinus Kerner (1786-1862). Die Melodie unbekannten Ursprungs wurde 1801 erstmals gedruckt und erschien mit dem Kerner-Text zusammen schon im Jahre 1823. Auf YouTube kann man das Lied gesungen hören.
Preisend mit viel schönen Reden
Ihrer Länder Wert und Zahl,
Saßen viele deutsche Fürsten
Einst zu Worms im Kaisersaal.
“Herrlich”, sprach der Fürst von Sachsen,
“Ist mein Land und seine Macht;
Silber hegen seine Berge
Wohl in manchem tiefen Schacht.”
“Seht mein Land in üpp’ger Fülle,”
Sprach der Kurfürst von dem Rhein,
“Gold’ne Saaten in den Tälern,
Auf den Bergen edlen Wein!”
“Grosse Städte, reiche Klöster”,
Ludwig, Herr zu Bayern sprach.
“Schaffen, das mein Land dem euren
Wohl nicht steht an Schätzen nach.”
Eberhard, der mit dem Barte,
Württembergs geliebter Herr,
Sprach: “Mein Land hat kleine Städte,
Trägt nicht Berge silberschwer;
Doch ein Kleinod hält’s verborgen:
Dass in Wäldern, noch so gross,
Ich mein Haupt kann kühnlich legen
Jedem Untertan in Schoß.”
Und es rief der Herr von Sachsen,
Der von Bayern, der vom Rhein:
“Graf im Bart! Ihr seid der Reichste!
Euer Land trägt Edelstein!”
Lied und Gedicht beziehen sich auf den Reichstag zu Worms im Jahre 1495, bei dem der 1445 geborene Graf Eberhard im Bart von Kaiser Maximilian I. zum Herzog erhoben wurde. Sein daraufhin neu gestaltetes Wappen findet sich auf einem Schlussstein in unserer Petruskirche und ist Beweis für den Abschluss der 1463 begonnenen Bauarbeiten erst nach dem Jahr 1495.
Der Liedtext verweist auf die damalige Armut des Landes, vor allem aber auf die politische Harmonie dank des Mitspracherechts der Landstände. Dieses wurde beim Landtag in Leonberg 1457 begründet und mit dem Tübinger Vertrag von 1514 festgeschrieben. Zu Recht gilt daher Württemberg als älteste Demokratie auf deutschem Boden. Das von Justinus Kerner herausgestellte gute Verhältnis zu den Untertanen hatte im Entstehungsjahr 1818 durchaus politische Bedeutung. Denn die nach dem Wiener Kongress 1814/15 von Fürst Metternich eingeleitete Restauration ließ nur eine gottgegebene Macht des Adels gelten und lehnte jegliche Mitbestimmung des Volkes ab.
Die von Bildhauer Paul Müller 1881 zum 75. Jubiläum des Königreichs Württemberg geschaffene Skulptur im Stuttgarter Schlossgarten zeigt Graf Eberhard ruhend bei einem Landeskind und damit indirekt das Bekenntnis von König Wilhelm I. zur demokratischen Tradition seines Landes.
Zumindest bis Mitte des 20. Jahrhunderts lernten Schulkinder Kerners Gedicht und das Lied. Aus den Verhandlungen zum 1952 entstandenen Südweststaat berichtet Theodor Eschenburg, dass die württembergischen Vertreter immer wieder ihre Hymne sangen, die letzte Strophe stehend, wobei sich auch die Kommunisten erhoben.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Facebook der Stadt Gerlingen vom 15.12.2021
Heimatpflegeverein floriert – Mitgliederzuwachs und Vorstandsverjüngung
Mit durchwegs einstimmigen Abstimmungsergebnissen honorierten die Mitglieder bei der Jahresversammlung am 3. Mai 2022 die erfolgreiche Arbeit des Vorstandes und die gute Nachfolgeregelung. Für die nach je 18 Jahren ausscheidenden Schatzmeister Gerhard Schweizer und Beisitzer Eberhard Köble gab es großes Lob und die Gewissheit, ihr Amt in qualifizierte Hände übergeben zu können. Mit Sven Sprang übernimmt ein Banker mit einschlägiger Vereinserfahrung das Amt des Schatzmeisters und die neue Beisitzerin Marisa Reimann ist als studierte Architektin mit langjähriger Erfahrung im Gerlinger Rathaus ebenfalls eine Idealbesetzung.
Die Jahresversammlung begann mit einem informativen Grußwort von Bürgermeister Dirk Oestringer, in dem er die aktuellen Entwicklungsschwerpunkte und Bauvorhaben darstellte. Dem Heimatpflegeverein zollte er großes Lob für die vielfältigen Aktivitäten zur Bewahrung des Ortsbildes wie auch zur Verschönerung der Stadt. Beispielhaft erwähnte er die künftige Ausgestaltung des Füllerkreisels und die Stiftung von neuen Bänken. Beweis für die erfolgreiche Arbeit des Vereins sei der Zuwachs auf jetzt 350 Mitglieder sogar in Corona-Zeiten, worum wir andernorts beneidet würden.
Im Rechenschaftsbericht beleuchtete der Vorsitzende Jürgen Wöhler nicht nur das Kalenderjahr 2021, sondern auch die Aktivitäten in den vier Jahren seiner ersten Amtszeit. Dazu gehört die Einrichtung einer Homepage, die seit 2018 knapp 25.000 Besucher und 70.000 Aufrufe verzeichnet. Sie ist die einzige Quelle, die sämtliches Schrifttum über Gerlingen auflistet. Der Erweiterung des Stadtrundweges mit Überarbeitung des dazugehörenden Flyers folgen demnächst ausführlichere Erläuterungen, die über die QR Codes auf den Schildern abrufbar sind. Während der coronabedingten Kontaktrestriktionen zeigte der Verein durch regelmäßige Veröffentlichungen im Gerlinger Anzeiger und in der Stuttgarter Zeitung Präsenz. Die informativ anregenden Artikel fanden Anklang in der Bevölkerung und waren Anstoß für manch neue Mitgliedschaft. Mit Abklingen der Pandemie konnten schon Ende 2021 und im März 2022 wieder Veranstaltungen angeboten werden. Als schon 3. Heimatblatt in diesen vier Jahren wird am 15. Mai 2022 um 11.15 Uhr das Heft „Künstlerheimat Gerlingen“ mit einer Ausstellung der darin vorgestellten Kunstwerke im Rathaus präsentiert. Unser Ehrenbürger Albrecht Sellner und Jürgen Wöhler übergaben das 1. Exemplar des neuen Heimatblatts an Bürgermeister Dirk Oestringer.
Trotz der Ausgaben für die Heimatblätter, die Einrichtung der Homepage und die Stiftung eines Preises für die beste Abiturleistung im Fach Geschichte des Robert-Bosch-Gymnasiums konnte Schatzmeister Gerhard Schweizer ein gutes Finanzergebnis zeigen. Mit großem Lob für den ausscheidenden Kassenwart beantragte Kassenprüfer Ulrich Knoblauch die Entlastung des Vorstands, die von der Versammlung einstimmig erteilt wurde.
Traditionsgemäß berichtete dann Klaus Herrmann, der seit 1979 ununterbrochen im Vorstand des Heimatpflegevereins tätig ist, über die Aktivitäten des von Ihm geleiteten Stadtarchivs sowie besondere Jubiläen im Jahr 2022. Er bat nachdrücklich darum, dem Stadtarchiv alte Bilder und Familiendokumente zu überlassen, zumindest aber zur Kenntnis zu geben, damit die Vergangenheit Gerlingens nicht in Vergessenheit gerät. Dem Dank an seine Mitarbeiterin Frau Carla Kastner, die Ende Mai in den Vorruhestand geht, schloss sich für den Verein für Heimatpflege der Vorsitzende ausdrücklich an.
Im zweiten Teil des Abends referierte Jürgen Wöhler mit Powerpoint-Präsentation und Video über das Kloster Lorsch, die Stadt Worms und den Lorscher Codex. Dort fand Gerlingen vor 1225 Jahren wegen einer Schenkung an das Kloster Lorsch erstmals Erwähnung. Das Jahr 797 gilt deshalb als Gründungsjahr von Gerlingen, auch wenn das Dorf damals sicher schon länger bestand. Der Codex in dem Ende des 12. Jahrhunderts alle alten Besitzurkunden des Klosters neu zusammengefasst wurden, wird scherzhaft das Grundbuch Deutschlands genannt, weil er für 600 der insgesamt 1.000 erwähnten Orte die erste urkundliche Erwähnung ist. Nach Ausführungen zur Geschichte des Klosters gab es noch Informationen zur UNESCO-Welterbe-Stadt Worms, neben Kloster Lorsch Ziel unseres Tagesausflugs am 14. Juni 2022.
Nach dem offiziellen Ende der Jahresversammlung ging es zur gemütlichen Hocketse über, die sogar nach Verlassen der Aula der Pestalozzischule im Stehen bis kurz vor Mitternacht fortgesetzt wurde. Insgesamt ein gelungener Auftakt für die nächste Amtszeit unseres Vorstands, dessen Mitglieder für ihr engagiertes Wirken großes Lob verdienen.
Facebook der Stadt Gerlingen vom 15.12.2021
Kein Banksterben in Gerlingen – wo fehlen Bänke?
Ob zum Genießen der Landschaft 🌄 oder zum Verschnaufen, auf dem Schulweg, beim Spaziergang und für Wanderer🚶♀️ – eine Bank ist immer hoch willkommen. Dies gilt besonders für Gerlingen mit seiner idyllischen Lage am Rande des Strohgäus, wo die Feldflur und die Heide oder der Wald zum Gang in die Natur einladen. Da bietet sich zum Beispiel der Geologische Lehrpfad an. Ein Blick in die von der Stadt herausgegebene Rad- und Freizeitkarte 🚵♂️ gibt ebenfalls viele Anregungen zur Erkundung unserer schönen Heimat.
Bänke sind nicht nur für eine Pause gut, wenn man die Höhe erklimmt oder den Kinderwagen schiebt. Bänke bieten spektakuläre Aussichten, Ruhe zur Besinnung und ebenso Platz für ein Schwätzle. Deshalb liegen sie dem Verein für Heimatpflege am Herzen, der gemäß Satzung Verständnis für Geologie, Flora und Fauna weckt, aber ebenso die Stadt bei der Anlage von Spazierwegen und Aussichtspunkten unterstützt.
Dank großzügiger Zuwendungen von Mitgliedern für diesen Zweck kann der Heimatpflegeverein der Bürgerschaft fünf neue Bänke spenden.
Doch wohin mit den 5 Bänken❓An steile Wege, an Aussichtspunkte oder…❓Da es Bänke für Euch sind, sollt Ihr Wünsche für geeignete Standorte nennen! Bitte schickt dem Heimatpflegeverein möglichst bis Ende Januar 2022 Vorschläge per E-Mail an heimatpflege.gerlingen@gmx
Zusammen mit uns als Stadt werden die endgültige Festlegung der Standorte sowie die Auswahl der möglichst stabilen, naturnahen und nicht zu niedrigen Bankmodelle getroffen.
Die kommenden Feier- und Ferientage sind ideal, um in frischer Luft Eure Favoriten für die Aufstellung von Bänken zu finden. Der Heimatpflegeverein ist gespannt auf Eure Anregungen und wünscht Euch wunderschöne Festtage!
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Facebook der Stadt Gerlingen vom 15.12.2021
Gerlingen – Schnorchelparadies an der schönen blauen Donau!
Diese Überschrift ist kein verfrühter Aprilscherz! Sie führt in unsere geologische Vergangenheit, als die Glems bis vor ca. 2 Mio. Jahren in die Ur-Donau floss und in noch fernerer Vergangenheit bis vor 140 Mio. Jahren war unsere Region vom Flachmeer der Jurazeit bedeckt. Mehr dazu finden Sie weiter unten und vor allem auf Tafel 6 „Von Gerlingen ins Schwarze Meer“ des Geologischen Lehrpfades beim Aussichtspunkt Im Heidewinkel auf der Gerlinger Höhe. Doch zuvor gilt ein großes Lob unserem Städtischen Bauhof, der die Tafel 6 gesichert hat, als am alten Standort in der Seifertstraße gebaut wurde und sie an den vom Verein für Heimatpflege vorgeschlagenen Standort Im Heidewinkel versetzt hat. Dort ist der Ausblick auf die geologischen Formationen des Strohgäus sogar noch besser, wie Rudolf Bubeck, der geistige Vater des Geologischen Lehrpfades und langjährige stv. Schulleiter des Robert-Bosch-Gymnasiums, bestätigt.
Gerlingen ist nicht nur wegen der 200 m Höhenunterschied innerhalb des Stadtgebietes eine geologische Schatzkammer, wie auf den 12 Tafeln des Geologischen Lehrpfades anschaulich erklärt wird. Unter www.heimatpflege-gerlingen.de “Bilder” finden Sie den Flyer mit Lageplan und alle einzelnen Tafeln vom Glemstal bis hin zum unteren Krummbachtal.
Für heutige Taucher wäre das Flachmeer im sogenannten Germanischen Becken ab ca. 255 Mio. Jahren vor unserer Zeit ein Schnorchelparadies zur Beobachtung von zum Beispiel Fischsauriern. Immer wieder wurde es aus dem südlichen Thetysmeer, dessen Relikt das heutige Mittelmeer ist, mit frischem Meerwasser überflutet. Wegen der damaligen Lage unserer Gemarkung nahe dem Äquator herrschte tropisches Klima, in dem sich neben Sauriern und anderen Echsen aller Art auch erste Säugetiere tummelten. Mit Ende des Jura und Beginn der Kreide-Zeit vor rund 140 Mio. Jahren zerfiel der Urkontinent Pangäa, das nachmalige Strohgäu wurde mit Mitteleuropa als Teil des Germanischen Beckens nach Norden geschoben und durch Flüsse sowie Meeresvorstöße aufgefüllt. Spuren dieser fundamentalen geologischen Veränderungen sind in Gerlingen an mehreren Stellen heute noch sichtbar und auf den Tafeln des geologischen Lehrpfades erläutert.
Für die schöne blaue Donau in Form der Ur-Donau könnte unsere Glems den Status als Quellfluss beanspruchen, denn ihr Zulauf zur Donau über Ur-Neckar/-Lone war viel länger, als die heutigen Quellflüsse Breg und Brigach. Für aufmerksame Leser: Ja, der Neckar entwässerte wie auch das Maingebiet bis vor ca. 2 Mio Jahren nicht in den Rhein, sondern in die Ur-Donau, welche seit 15 Mio. Jahren nicht mehr nach Südwesten in Richtung Mittelmeer, sondern bis heute ostwärts in Richtung Schwarzmeer fließt. Und wenn wir schon bei Richtungsänderungen von Flüssen sind: der Alpenrhein fließt erst seit 800.000 Jahren nicht mehr über die Ur-Donau ins Schwarzmeer, sondern über den Bodensee und den Oberrheingraben zur Nordsee. Ähnlich wie der Neckar seine Fließrichtung von Donau in den Rhein umkehrte, geschah das auch in erdgeschichtlich allerjüngster Zeit um 20.000 v. Chr. vor den Augen unserer Altsteinzeit-Vorfahren mit der Wutach, wo der Umkehrpunkt heute noch erkennbar ist. Und dieser Anzapfungsprozeß des Rheins zu Lasten der Donau ist dank seines größeren Gefälles noch keineswegs abgeschlossen. Nach Ansicht von Fachleuten werden sich wohl auch die aktuellen Donau-Quellflüsse Breg und Brigach langfristig dem Rhein zuwenden.
Ich hoffe, dass ich bei Ihnen Lust zu einem Besuch bei der Tafel 6 des geologischen Lehrpfades Im Heidewinkel und auch der Tafel 1 „Fossile Meeresböden“ im Glemstal bei der Tonmühle wecken konnte. Bei schlechtem Wetter empfiehlt sich neben dem Studium der Tafeln auf unserer Homepage auch ein Blick in das von Rudolf Bubeck verfasste Heimatblatt Nr. 9 „Gerlingen – Gestalt der Landschaft und geologischer Untergrund“, in dem viele weitere Informationen zur Geologie unserer näheren Heimat zu finden sind.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Tafel 6 am neuen Standort
mit Rudof Bubeck und Jürgen Wöhler.
Amtsblatt der Stadt Gerlingen vom 22.01.2021
Das Versteck der Töchter Schiller im Gerlinger Wald.
Bekanntlich hatte unser Dichterfürst Friedrich Schiller (1759-1805) drei Schwestern. Christophine (*1757), Luise (*1766) und seine schon im März 1796 verstorbene und am Chor der Gerlinger Petruskirche begrabene Lieblingsschwester Nanette (*1777). Während Friedrich auf der Hohen Karlsschule eine umfassende Bildung erhielt, waren die Erziehungsideale für die Töchter völlig anders. Wie wir aus einem Brief der Mutter Elisabeth Schiller wissen, standen Herzensbildung, Tugend, Fleiß und Sparsamkeit sowie Christentum im Vordergrund. Daneben waren Kenntnisse in Französisch, Musik und feinen Sitten wichtig für das Finden einer standesgemäßen Partie mit sicherer Stellung und auskömmlichen Einkünften. Das gelang bei Christophine, die 1786 mit schon 29 Jahren den zwanzig Jahre älteren Bibliothekar Reinwald heiratete, während Luise auf Anraten ihres Bruders 1799 im Alter von 33 Jahren den der Familie aus seiner Zeit als Vikar in Gerlingen verbundenen Pfarrer Frankh ehelichte. Vordringlich aber war damals für Eltern von Töchtern, dass diese „unversehrt“ in die Ehe gehen konnten.
Man kann sich daher die Sorgen der Mutter Schiller vorstellen, als sich im Juli 1796 der Einmarsch regulärer französischer Truppen ankündigte, denen ein plünderndes Freikorps vorauszog. Eine schon vorbereitete Flucht in die befestigte Amtsstadt Leonberg war unmöglich wegen der schweren Erkrankung des pflegebedürftigen Vaters, der den Frauen trotz seines militärischen Ranges als Obristwachtmeister (Major) keine Hilfe sein konnte. Christophine, die seit Mai des Jahres zur Mithilfe bei der Pflege des Vaters auf die Solitude gekommen war, schilderte in einem Brief an ihren Bruder, dass die französischen Freischärler die Türen mit einem Säbelhieb aufsprengten, Geld sowie vor den Augen des hilflosen Vaters seine Kleidung mitnahmen und was ihnen sonst gefiel. Kein Wunder, dass die Mutter von ihr und Luise dringend verlangte, dass sie sich umgehend versteckten. Den folgenden „längsten Tag in ihrem Leben“ verbrachten Christophine und Luise mit einer anderen Familie von 7 Uhr morgens bis abends um 8 Uhr im Gerlinger Wald in einer „Höhle unter der Brücke“. Die Erlösung kam mit einem regulären französischen Kommando, dessen Anführer Leutnant Maillard bei Familie Schiller „Visite“ macht und sich für die Übergriffe der Freischärler entschuldigt.
Die Erwähnung des Brückenverstecks im Buch „Schloß Solitude“ von Gotthilf Kleemann auf Seite 182 ließ Herrn Dieter Schweizer, den langjährigen Vorsitzenden unseres Vereins für Heimatpflege nicht ruhen. Unter einem Weg, der westlich vom Bernhardsbachweg abzweigt, wurde er fündig und wie das obige Bild zeigt, war die bis heute gut erhaltene Brückenwölbung als Zuflucht bestens geeignet. Sie ist erst nach ca. 3 Meter steilem Abstieg vom Wegedamm und fast wie eine Höhle nur von der 2 Meter hohen Südöffnung her einsehbar, denn die nördliche Öffnung ist lediglich 50 cm hoch. Es gibt zwar keinen dokumentarischen Beweis, aber eine sehr hohe, an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Der Schreiber dieser Zeilen ist den möglichen Fluchtweg der Töchter Schiller in ca. 15 Minuten abgegangen. Dieser beginnt bei der damaligen Wohnung der Familie im von Osten her dritten Kavaliershaus Nr. 16, wie aus der Skizze aller Schillerwohnungen auf der Solitude bei Kleemann S. 167 ersichtlich. Von dort geht es am noch existierenden Teich entlang über damals vermutlich bestehende Parkwege quer über die heutige Wildparkstraße zu dem Brückengewölbe. Dieses war der Familie wohl bekannt, da über die Brücke von Schloß Solitude kommend in Richtung Bärensee ein immerhin 6 Meter breiter befestigter Weg führte, auf dem 2 Kutschen aneinander vorbeifahren konnten. Der Weg ist noch gut sichtbar, wenn auch inzwischen durch die Wildparkstraße unterbrochen. Ausgangspunkt zur Besichtigung wäre jetzt der Parkplatz beim ehemaligen Forsthaus 2, dann auf dem Bärensträßle nach knapp 100 Metern rechts abbiegen, oberhalb des Schiesshauses vorbei und bei Erreichen des Bernhardsbachweges rechts abbiegen auf den parallel zum Bach verlaufenden Zielweg. Dieser führt nach ca. 200 Metern über das von oben kaum sichtbare Brückengewölbe. Die Suche (Vorsicht: es ist nicht die Tauschbrücke!) lohnt sich jedenfalls und bringt Spannung in den Sonntagsspaziergang zum Bärensee.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Brückengewölbe im Gerlinger Wald.
Amtsblatt der Stadt Gerlingen vom 30.10.2020
“Vom Esse kommt´s net”
– Tröstliches von Luise Drißler –
Den kommenden Festtagen mit weihnachtlicher Stimmung sehen wir auch dank Gebäck und Gänsebraten mit Freude entgegen – getrübt allenfalls durch die Befürchtung nachweihnachtlicher Diäten. Inwieweit sich auch der in Corona-Zeiten erschwerte sportliche Kalorienabbau auswirkt, wird erst im Januar der Blick auf die Waage zeigen. Im Zielkonflikt zwischen Essensgenuss und Diktatur des Maßbandes können die Verse unser Gerlinger Heimatdichterin Luise Drißler als Trost oder zur Erheiterung dienen:
Gedicht „Vom Essen kommt´s net“
Von Luise Drißler, geb. Schweizer (1906-1982) wurde anläßlich ihres 65. Geburtstags 1971 von der Stadtverwaltung ein Band mit Heimatgedichten herausgegeben. 1977 erschien im Bleicher Verlag der nach obigen Versen benannte Gedichtband „Vom Esse kommt´s net“. Darin nahm sie ihre etwas mollige Figur selbst auf den Arm, wie Gertrud Müller im Portrait auf S. 126 – 144 des sehr lesenswerten Buches „Gerlinger Frauengeschichten“ ( Erstauflage 2007 ) schreibt.
Luise Drißler war eine einfache Frau, die nach der Volksschule in wirtschaftlich schwieriger Zeit als Waldarbeiterin tätig war, später in einer Fabrik und dann bei der Post, zuletzt in Gerlingen. Sie war mit einer heiteren, fröhlichen Art und einer wachen Wahrnehmung gesegnet. In unzähligen handschriftlichen Gedichten hielt sie tägliche Beobachtungen und Empfindungen fest, dazu mit knitzem Humor die kleinen Schwächen ihrer Mitmenschen, wobei sie sich selbst nicht aussparte. 1981 folgte ein weiterer Gedichtband – erschienen im Bleicher-Verlag -, ebenfalls redigiert von unserem Mitglied, der ehemaligen Stadträtin Gertrud Müller. Viele von „Luisle´s“ Gedichten sind anlassbezogen, wie zur Eröffnung des Stadtrundweges 1980, aber auch oft zeitlos anregend, wie unser Gedicht hier beweist. So hat sie bleibende Spuren hinterlassen, wie die letzten Zeilen aus dem Nachruf von Hermann Höschele im Gerlinger Anzeiger deutlich machen:
Kann man viel Besseres denn sagen
Von eines Menschen Lebenstagen,
als dass er andern Freud´ gemacht?
Sie tat´s – ihr sei voll Dank gedacht!
Das Buch „Gerlinger Frauengeschichten“, ( 2. korrigierte Auflage von 2013 ) ist zum Preis von € 8,– an der Zentrale im Rathaus erhältlich.
Bevor ich Ihnen guten Appetit für die Festtage wünsche, schulde ich dem Restaurant „Fässle“ eine Entschuldigung. Ich hatte es peinlicherweise trotz über hundertjähriger Geschichte und guter kulinarischer Erinnerungen bei der Aufzählung schön restaurierter Gasthäuser im GAZ vom 23. 10. 2020 vergessen.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Vom Esse kommt’s net
Amtsblatt der Stadt Gerlingen vom 30.10.2020
Ölquelle auf der Schillerhöhe!
Dies war ein Kommentar im Gerlinger Gemeinderat als Bürgermeister Wilhelm Eberhard am 11. Juni 1963 in nicht-öffentlicher Sitzung erstmals die geplante Ansiedlung der Robert Bosch GmbH auf der Schillerhöhe vorstellte. Schon am 7. 8. billigte der Gemeinderat den Vertragsentwurf über den Verkauf von 10 Hektar Wald, der am 15. August 1963 notariell beurkundet wurde. Heute völlig undenkbar ist nicht nur die Schnelligkeit, sondern vor allem, dass die Vertraulichkeit bis zum 28. 2. 1964 gewahrt wurde, als Bosch-Chef Hans L. Merkle in einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz die Bombe platzen ließ. Auch Gisela Kutter, die als Sekretärin bei Bosch die Pressekonferenz protokollierte, war völlig überrascht. Sie ist aber wehmütigem Umzug von Stuttgart-Zentrum ins „Nirwana“ inzwischen begeisterte Gerlingerin und Mitglied im Verein für Heimatpflege.
Kalt erwischt wurde damals auch die Stadt Stuttgart, obwohl sie hätte vorgewarnt sein können, da sie Bosch keine Erweiterungsmöglichkeiten bieten konnte oder wollte. So verblieben Stuttgart neben viel Häme in der Presse nur der juristische Sitz und die Telefonvorwahl, allerdings auch bedeutende Produktionsanlagen in Feuerbach, wo schon vor dem 2. Weltkrieg viele 500 Gerlinger arbeiteten. Abgesehen von familiären Banden der Familie Bosch zu Gerlingen hatte es schon 1959 Kontakte der Firma Bosch mit Gerlingen gegeben, doch für eine Fertigungsstätte im Tal fehlte vor allem ein Bahnanschluss.
Mit der Pressekonferenz Ende Februar 1964 begann in Gerlingen eine lebhafte Diskussion über Für und Wider der Ansiedlung, die vor allem in der Waldsiedlung Befürchtungen auslöste. Doch letztlich setzten sich die Argumente durch, die Bürgermeister Eberhard als „Vater“ des Projekts am 4. 3. 1964 in der ersten öffentlichen Gemeinderatssitzung zu Bosch auf der Schillerhöhe präsentierte. Das waren die geringe forstliche Qualität des „Schälwaldes“ auf sumpfigem Gelände, vor allem aber die wirtschaftlichen Vorteile. Entgegen landläufiger Vermutung wurde der Ausbau der Wildparkstraße nicht durch Bosch initiiert, sondern die schon vorhandene Planung wirkte als positiver Standortaspekt.
Natürlich gibt es viele Gründe für den wirtschaftlichen Aufschwung Gerlingens, aber Bosch ist sicher ein ganz wesentlicher Faktor. Betrug die Steuerkraft je Einwohner 1953 umgerechnet nur bescheidene 28 €, stieg sie von 267 € (1973) über 946 € (1993) auf aktuell 4000 € (2019).
Der Umzug auf die Schillerhöhe zunächst der Forschung und dann der Hauptverwaltung vollzog sich sukzessiv bis zum Herbst 1970. Dass in Gerlingen der 28. 10. 1970 als Jubiläumsanlass gesehen wird, liegt am “Antrittsbesuch” des Gemeinderats bei Hans L. Merkle, aus dessen Begrüßung folgende Worte fortgelten: “Wir sind gerne in diese Stadt gekommen und fühlen uns wohl auf der Gerlinger Schillerhöhe. Wir wollen als multinationales Unternehmen ein guter Bürger dieser Stadt sein und bleiben”. Damit hat er einen Aspekt angesprochen, der ebenso wichtig ist, wie die Gewerbesteuerzahlungen. Es ist die Mitwirkung der Firma Bosch und vieler Boschler am bürgerschaftlichen Miteinander in Gerlingen. Dafür stehen beispielhaft die Unterstützung durch die Heidehof-Stiftung beim Bau des Seniorenheims in den Breitwiesen, des Kinderhauses Waldsiedlung, der Kindergruppe Windelflitzer und des Gymnasiums, das zu seinem 40jährigen Bestehen in Robert-Bosch-Gymnasium benannt wurde. Vom Zuzug junger Mitarbeiter-Familien profitieren unsere Vereine und das Kulturleben wird durch die Bosch-Theatergruppe, den angesehenen Bosch-Chor und das Sinfonieorchester bereichert. Es ist erfreulich, dass sich Bosch ungeachtet der Verlagerung der Forschung nach Malmsheim zum Standort Gerlingen bekennt und dies durch Schaffung von Arbeitsplätzen auf der Höhe und aktuell im Gewerbegebiet an der Dieselstraße dokumentiert. Bürgermeister Georg Brenner a.D. lobte Bosch als Leuchtturmprojekt, sein Vorgänger Albrecht Sellner als Erfolgsgeschichte von A – Z und Bürgermeister Dirk Oestringer als prägend für unser Stadtleben. Der Verein für Heimatpflege wünscht unserem „Mitbürger“ Robert Bosch GmbH auch für die nächsten 50 Jahre in Gerlingen Wohlbefinden und Erfolg.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Schon von weitem ist das markante Hauptverwaltungsgebäude des Weltkonzerns sichtbar.
Die im Vordergrund stehende Sonnenuhr wurde beim Besuch des Gemeinderats auf der Schillerhöhe als Geschenk der Stadt übergeben.
Amtsblatt der Stadt Gerlingen vom 30.10.2020
400 Jahre Bistro-Café-Courage?
Schon 1583 wurde das Domizil des Courage in der Eltinger Straße 2 erbaut. Lange galt es als ältestes Haus Gerlingens, bis 1991 das Firstständerhaus (Nr. 7 des Stadtrundwegs) neben der 1495 vollendeten Petruskirche auf 1417/18 datiert wurde. Hinter VfB-Fahne und Sonnenschirmen ist die alte, schön renovierte Fachwerkkonstruktion gut zu erkennen. Ein genaueres Hinsehen lohnt sehr, denn ganz rechts am Kopf eines Tragebalkens findet sich neben dem Baujahr 1583 auch ein Meisterzeichen in Form eines M mit Kreuz. 1595 starb in Gerlingen der Zimmermann Melchior Kreutzer. Daher dürfte er dieses Gebäude gebaut haben. Auf dem heutigen Vorplatz des Courage stand früher ein Kettenbrunnen, aus dem das Wasser mit Eimern heraufgeholt wurde, denn Leitungswasser gab es in Gerlingen erst ab dem Jahr 1903. Der nachfolgende Pumpbrunnen ist älteren Bürgern noch als “Lemppenaus Brunnen” in Erinnerung, denn Lemppenau hieß der Kaufmann, der im Nachbargebäude Nr. 4 ein Ladengeschäft betrieb.
Isabell Zimmermann hat als Besitzerin und Betreiberin des Courage eine besonders enge Beziehung zu dem Haus, das seit Generationen im Familienbesitz ist und in dem schon ihr Großvater geboren wurde. Im Jahr 1959 eröffnete die Feuerbacher Volksbank im Erdgeschoß des Wohngebäudes eine Filiale und ersetzte die alten Fenster durch ein Schaufenster, das zusammen mit der Glastüre die gesamte Front des Hauses einnahm. Als die Bank – seit 1970 Stuttgarter Volksbank und seit 2010 Volksbank Stuttgart – 1989 in die Kirchstraße umzog, wurde das Haus in Abstimmung mit dem Landesdenkmalamt, dessen Einfluss auch im Inneren erkennbar ist, renoviert. Es wurde aber nicht in den Urzustand mit hochliegenden kleinen Fenstern zurück gebaut, sondern zum Bistro-Café-Courage umgebaut, wie wir es heute kennen.
Wie kam es dazu? Mit dem Auszug der Bank stellte sich für Familie Zimmermann die Frage der künftigen Nutzung, wobei wegen des Schaufensters und der guten Lage ein Ladengeschäft naheliegend gewesen wäre. Doch die damals erst 20jährige Isabell, die eine kaufmännische Ausbildung absolviert hatte, bewies Courage. Sie entschloss sich, gemeinsam mit drei Freunden und unter Verzicht auf Ruhetage ein Bistro-Café mit Außenbereich aufzumachen. Ganz spontan kam sie auf den bis heute aktuellen Namen “Courage” und verneint Assoziationen mit Brechts Mutter Courage oder ihrer Courage zur Eröffnung des eigenen Lokals. Von Anfang an wurde das Courage zu einem Treffpunkt nicht nur junger Gerlinger, zeigte attraktive EM-/WM-Fußballspiele und später auch Bundesliga, wobei der VfB Stuttgart natürlich die meisten Fans anzog. Seit 2007 gibt es einen VfB-Fanclub Gerlingen, dessen Clublokal und inzwischen sogar “Offizieller VfB-Treff” das Courage ist. Regelmäßig suchen prominente VfB-Kicker oder Funktionäre hier den Kontakt mit ihren Anhängern.
Wir Gerlinger können uns glücklich schätzen, neben dem Courage auch andere vorbildlich restaurierte Gasthäuser zu haben. So den Gerlinger Hof, das Fässle, die Gaststätte Im Wengert und neu aufgebaut die ehemalige Krone sowie das Alt-Gerlingen (früher Schwanen) und hoffentlich bald restauriert den Hirsch.
Städtebaulich setzt das Courage am Anfang des Hauptstraßenrings einen ebenso geschichtsträchtigen wie lebendigen Farbtupfer und der trotz Feinstaubdiskussion immer gut frequentierte Außenbereich gibt Gerlingen ein bistrotypisches südländisches Flair. Möge uns das schöne Fachwerkhaus weitere 437 Jahre erhalten bleiben und das Courage natürlich ebenso.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Amtsblatt der Stadt Gerlingen vom 23.10.2020
Heimatpflegeverein übergibt neuen Flyer zum Stadtrundweg an Bürgermeister Dirk Oestringer
Am 03. September 2020, fast auf den Tag genau 40 Jahre nach Eröffnung des Stadtrundweges überreichte der Verein für Heimatpflege Gerlingen den überarbeiteten Flyer zum Stadtrundweg an Bürgermeister Dirk Oestringer. Mit dabei war unser Ehrenbürger und früherer Bürgermeister Albrecht Sellner, der 1979 als Erster Beigeordneter wesentlich an der Gründung des Heimatpflegevereins und dann an der Schaffung des Stadtrundweges beteiligt war. In Ergänzung zu der schon 1980 erstmals aufgelegten ausführlichen Broschüre, welche die einzelnen Stationen erläutert und ergänzende Informationen bietet, hat der Verein 2016 einen kurzgefassten Flyer als Faltblatt herausgebracht. Dieser wird kostenlos an Interessierte abgegeben und liegt im Rathaus, im Stadtmuseum, in der Stadtbücherei und an weiteren Stellen aus. Infolge von Veränderungen im Stadtbild wurde eine überarbeitete Neuauflage sinnvoll, die mit der Übergabe an den Bürgermeister der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Bürgermeister Oestringer dankte dem Verein für das große Engagement zum Erhalt des gewachsenen Stadtbildes und zur Vermittlung von Wissen über die Geschichte der Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten. Gerne mache er Besucher auf den Stadtrundweg aufmerksam, den er auch persönlich sehr schätze. Er ermutigte den Verein ausdrücklich, seine Aktivitäten fortzusetzen und versprach seitens der Stadt weiterhin gute Zusammenarbeit. Dazu gehöre die enge Kooperation mit dem Stadtarchiv und dem Stadtmuseum, die durch Klaus Herrmann und Christina Vollmer vertreten waren.
Jürgen Wöhler dankte als Vorsitzender des Vereins den Vorstandsmitgliedern Eberhard Köble und Gerhard Schweizer, die qualitätsvolle Bilder zum neuen Flyer beigesteuert haben, Klaus Herrmann für das Lektorat sowie Petra Hagelauer für die graphische Gestaltung. Die Ermutigung durch Bürgermeister Oestringer aufnehmend kündigte er die Überarbeitung auch der ausführlicheren Broschüre zum Stadtrundweg an. Er hoffe, dass der neue Flyer die Popularität des Stadtrundwegs weiter steigert und zusammen mit den 32 Stationen vor allem jüngeren Gerlingern die Sehenswürdigkeiten ihrer Heimatstadt näher bringt.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Hinter Bürgermeister Dirk Oestringer und Jürgen Wöhler von li. n. r. Brigitte Fink, Gabriele Schwarz und Christina Vollmer sowie Eberhard Köble, Klaus Herrmann und Albrecht Sellner.
Amtsblatt der Stadt Gerlingen von 11.09.2020
Heiteres Beruferaten: Gerlingen anno 1776!
Dampflokheizer, Stenotypistin oder Telefonvermittlung waren vor nur 50 Jahren gängige Berufe, finden sich aber heute in keiner Stellenanzeige. Umgekehrt hätte man sich damals unter Compliance-Abteilung, Webdesigner oder Gleichstellungsbeauftragte wenig bis nichts vorstellen können. Noch nie war der Wandel von Berufsbildern so dramatisch schnell, auch wenn man die Bedeutung der zuerst genannten Berufe noch kennt.
Anders sieht es bei den im Dorf Gerlingen vor 250 Jahren vertretenen Berufen aus, wo die Söhne und Enkel den Beruf der Vorfahren übernahmen. Friedrich Schaffert, unser Ehrenbürger und langjähriger Archivleiter hat für das Jahr 1776 das Seelenregister des Pfarrers Ludwig Christian Pfeilsticker ausgewertet, dazu alte Kirchenbücher und weltliche Inventurakten. Neben hoch interessanten Details zu Familienverhältnissen und Sozialstruktur der ca. 1000 Einwohner hat er die Berufe aufgeführt, die uns heute oft unbekannt sind. Oder kennen Sie die folgenden Berufe und Funktionen?
Zainenmacher (macht Körbe), Küfer (Fässer), Wagner (Räder), Seiler (Seile), Salpeterer (sammelt in den Ställen Salpeter für Schießpulver), Maulwurfsfänger, Kärcher (Karrenführer), Kübler (Holzgefässe), Orgeltreter, Feldmesser, Fleckenschäfer, Nachtwächter, Kühhirt, Umgelter (kassiert “Umgeld”, eine Verbrauchsteuer auf alkoholische Getränke), Zoller (Zolleintreiber), Strumpfweber, Heiligenpfleger (Kirchenpfleger).
Daneben gab es die Kerzenmeister des Schneider- und des Schuhmacherhandwerks, den Obermeister Maisch der Küferzunft, einen Dorf- und einen Waldschütz sowie natürlich auch heute noch aktuelle Berufe. Allerdings unterscheiden sich deren Zahlen beträchtlich, denn es gab 1776 einschließlich Ruheständlern aber ohne Auszubildende immerhin 13 Metzger, 12 Bäcker, 69 Weingärtner und 30 Bauern. Als Bauern galten aber wohl nur Selbständige, während Weingärtner auch Taglöhner oder Arbeiter sein konnten. Zudem hatten fast jede Familie und sogar der Pfarrer etwas Vieh und einen Acker oder Weinberg. Mangels Zugang zur Glems gab es keinen Müller in Gerlingen, dafür die ganz besondere Berufsangabe “Eigenbrötler”, was den einzigen Junggesellen bezeichnete.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Türschild von Küfermeister Maisch
Gerlinger Anzeiger vom 28.08.2020
Vom Gasthaus “Schwanen” zum Metermaß und zur Hausnummerierung
Wie kommt man zu einer Überschrift mit solchen Assoziationen? Indem man für das ehemalige Gasthaus Schwanen in der Neuauflage des Flyers zum Stadtrundweg einen fundierten Kurztext recherchieren will und auf überraschende Erkenntnisse stößt.
Alter “Schwanen” von 1871, Meterstr. 10
Es beginnt mit der ungewöhnlichen Adresse Meterstraße, die es sonst wohl nur noch in Hannover gibt. Unsere Gerlinger Meterstraße war 1871 eine der ersten Straßen außerhalb des Etters als überkommener Dorfgrenze und die erste im neuen Metermaß vermessene sowie völlig gerade Straße. Das französische Metersystem war zum 1. 1. 1872 auch im Königreich Württemberg verbindliches Längenmaß geworden und mit der Straßenbenennung zeigte sich Gerlingen an der Spitze des Fortschritts.
Bei Herleitung von Straßennamen in Gerlingen stößt man zwangsläufig auf die einschlägige Veröffentlichung von Klaus Herrmann, Leiter unseres Stadtarchivs. Dort findet sich die Information, dass Gerlingen erst im Jahre 1900 durch Gemeinderatsbeschluss die Hausnummern nach Straßen zugeteilt hat, wobei der “Schwanen” zu Meterstraße 10 wurde. Zuvor gab es für den gesamten Ort durchlaufende Hausnummern. Neu erbaute Häuser wurden nach der letzten Nummer angefügt, was bei zuletzt 276 zum Teil weit verstreuten Hausnummern wohl nicht nur den Postboten überforderte. Dabei war diese chronologische Nummerierung schon ein Fortschritt gegenüber dem Beginn des 19. Jahrhunderts, als Häuser nur nach ihrer Lage, dem Besitzer oder dem Aussehen bezeichnet wurden.
Doch zurück zum alten “Schwanen”, der 1871 am Ende der Eltinger Straße, dem damaligen Ortsende erbaut und 1910 vom Wirt und Bäckermeister Eduard Wagner durch einen Saalanbau vergrößert wurde. Zielkundschaft waren vor allem die Steinbrucharbeiter, die am Abend von den Brüchen auf der Gerlinger Heide, Im Köngemann oder bei der Füllerstrasse zurückkamen.
Neuer “Schwanen”, 1928-2000, Ecke Haupt-/Kirchstr.
Doch 1928 verlegte Eduard Wagner den “Schwanen” an die zentral gelegene Ecke Haupt-/ Kirchstraße, wo sich heute das 2001 neuerbaute “Alt-Gerlingen” befindet. Der alte “Schwanen” wurde nicht mehr als Gasthaus genutzt, diente aber während des Zweiten Weltkrieges als Unterkunft für französische Kriegsgefangene. Eduard Wagner folgte damals wie heute jedes Fast-Food-Restaurant dem Kundenverkehr, denn es gab kaum noch Steinbrucharbeiter, aber regen Besucherverkehr am neuen Standort. Dort war neuerdings die Endhaltestelle der Straßenbahn von Feuerbach mit vielen pendelnden Fabrikarbeitern und am Wochenende kamen Spaziergänger aus Stuttgart mit Ziel Solitude. Ältere Gerlinger erinnern sich auch sicher noch gerne an Festlichkeiten und Tanzvergnügen im großen Saal des “Schwanen”.
Jetzt gibt der alte “Schwanen” Anlass für einen Ausflug in die Gerlinger Geschichte. Damit wollen wir auch Vorfreude auf den neuen Flyer zum Stadtrundweg wecken, der am 5. September 2020 vorgestellt wird. Das ist auf den Tag genau 40 Jahre nachdem der Verein für Heimatpflege Gerlingen den Stadtrundweg der Öffentlichkeit übergeben hat.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de
Gerlinger Anzeiger vom 07.08.2020
Die Gerlinger und ihre Solitude
Gerne zeigen wir auswärtigen Gästen im Vorbeifahren oder beim Spaziergang die Solitude und genießen deren Begeisterung über das schöne Schloss und den spektakulären Ausblick. Dass man sich nicht mehr auf Gerlinger Gemarkung befindet, wird schamhaft verschwiegen oder von historisch Informierten mit der Enteignung durch die Nationalsozialisten im jahr 1942 entschuldigt.
Am Vergleich vom 12. Juni 1951, in dem Gerlingen gegen einen finanziellen Ausgleich auf Rückgabe der Solitude durch Stuttgart verzichtete, lässt sich leider nicht mehr rütteln. Doch für unseren historischen und moralischen Anspruch auf die Solitude gibt es genügend gute Gründe: die Lage des Schlosses auf überwiegend Gerlinger Markung, aber auch die beim Bau überwiegenden Gerlinger Fron- und Quartierdienste sowie Materiallieferungen – oft ohne entsprechende Entlohnung.
Herzog Carl Eugen (1728-93) beschloss bei einer Herbstjagd im Jahr 1763, mitten im Jagdrevier und mit großartigem Ausblick ein Jagdschloss zu bauen, um sich in der “Einsamkeit” (frz.: solitude) zu erholen. Schon im November, nach Ernte und Weinlese wurde mit Rodungsarbeiten begonnen. Obwohl der größte Teil des “Solitude-Bauweßens” auf Gerlinger Markung lag, findet sich kein Beleg für Kauf oder vertragliche Abtretung. Deshalb dürfen wir von einer Enteignung ohne einen einzigen Federstrich ausgehen.
Ein Großteil der Arbeiten wurde als Frondienste durch Gerlinger geleistet, daneben durch Zwangsverpflichtete aus dem Oberamtsbezirk, sowie überregional angeworbene Kräfte und “Arbeitssoldaten”. Letztere wurden überwiegend in Gerlingen einquartiert, zeitweise 80 Mann samt 54 Frauen und 60 Kindern. Das waren 194 Personen für ein armes, beengtes Dorf mit nur 952 Einwohnern!
Obwohl nach hergebrachtem Recht dem Herzog nur “Hagens- und Jagensfron” zu leisten war, wurden die Schultheißen unter Strafandrohung gezwungen, Mitbürger zu vielfältigen und illegalen Frondiensten abzustellen. Zu den Hand-Fronen wie Bauen und Rodung sowie dem “Auffwarten”, zu denen ärmere Leute verpflichtet wurden, kamen Fuhr-, Roß- und Herrschaftsfuhr-Fronen für wohlhabendere Bürger. Wer keine Zugtiere hatte, musste die Verpflichtung durch Geld ablösen, wozu selbst der Gemeinderechner Rüger nicht imstande war, wie sein – vergeblicher – Bittbrief an den Herzog von 1769 zeigt. Zahlreiche Belege über Frondienste und sonstige Leistungen für den Schlossbau finden sich im Gerlinger Stadtarchiv. Die Bauarbeiten waren zudem gefährlich und mit Johannes Keyl sowie Johannes Schopf sind dabei mindestens zwei Gerlinger im Jahre 1767 tödlich verunglückt.
Natürlich hatte Gerlingen auch Steine und Holz zu liefern. Die Schilf- und Stubensandsteine wurden in der Fron gebrochen und angeliefert, doch drückender waren die Lieferverpflichtungen für das ohnehin knappe Bau- und Brennholz. Hinzu kam, dass der Herzog die Lieferungen wie auch Frondienste und Einquartierungen entweder nicht, nur in Teilbeträgen oder mit jahrelanger Verspätung zahlte. Dies alles vor dem Hintergrund von Missernten in den Jahren 1770-72, die zu Brotschulden des Dorfes Gerlingen führten, die sie “in zwei, drei oder mehreren Jahren nicht abtragen könnten!”
Schon 1775 hatte Herzog Carl Eugen die Solitude verlassen. Später wurden viele Gebäude abgerissen oder wie der Dom St. Eberhard in Stuttgart versetzt. Nachdem Gerlingen kirchlich und schulisch immer für die Solitude zuständig geblieben war, wurde sie im Jahre 1858 auch offiziell Teilgemeinde von Gerlingen. Doch durch Verfügung des Reichsstatthalters von Württemberg vom 16. März 1942 wurde die Markung Solitude mit 429 ha und weitere 42 ha südlich (heutige Kliniken und KSG-Sportplätze) gegen eine Entschädigung von 300.000 RM nach Stuttgart eingemeindet. Nur letztere 42 ha wurden im Vergleich von 1951 an die Gemeinde Gerlingen zurückgegeben, die trotz Antrag beim Innenministerium und 990 Unterschriften Gerlinger Bürger keine Chance gegen die Interessen der Landeshauptstadt und wohl auch der Landesregierung hatte. Immerhin erhielt Gerlingen einen finanziellen Ausgleich von DM 400.000, der die Fertigstellung der Pestalozzischule und den erstmaligen Bau einer Kanalisation ermöglichte. Mehr Informationen finden Sie im Heimatblatt Nr. 2 „Die Gerlinger und ihre Solitude“, das für 2 € im Stadtarchiv erhältlich ist.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Schloss Solitude mit Blut, Schweiß und Tränen der Gerlinger auf unserem Grund und mit Material aus unserer Gemarkung gebaut wurde. Deshalb gehört es zu unserem historischen Erbe, das wir mit berechtigtem Stolz als Schmuckstück vorzeigen können.
Jürgen Wöhler, Vorsitzender
www.heimatpflegeverein-gerlingen.de